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Kommentar |
Das philosophische Vorhaben Ortega y Gassets zeichnete sich von Anfang an durch seine kritische Stellung zu dem Idealismus aus. Deswegen lässt sich seine Rezeption der Phänomenologie Husserls -schon in den Jahren 1913/14- nur aus der Perspektive seiner Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus und weiterhin mit dem Neukantianismus verstehen. Ortega y Gassets Standpunkt zu der transzendentale Phänomenologie scheint jedoch auf den ersten Blick paradox zu sein. Einerseits schätzte er hoch die phänomenologische Methode, welche, ähnlich zu einer physiologisch-histologischen Untersuchung, das Gewebe der Realität ausführlich zu beschreiben vermöge. Andererseits lasse die Phänomenologie Husserls gerade jenen Moment der Philosophiegeschichte feststellen, in dem „der Idealismus seine Straftat begeht“, nämlich, wenn die transzendentale Reduktion auf ein lebloses Ich, bloßer Zuschauer seiner selbst und der Welt ausgeführt wird.
Hiergegen führt Ortega den Gedanken einer „primären Realität“ ein, welche im Grunde genommen in einer Korrelation zwischen einem konkreten Ich und seinen historischen und kulturellen Umständen (auf Spanisch „circunstancias“) besteht. Dabei setzte Ortega y Gasset eine Philosophie der vitalen Vernunft ein, die der „primären Realität“ Rechnung tragen sollte. Der Schwerpunkt des Seminars liegt darin, die Bedeutung dieser kritischen Rezeption Husserls bei Ortega und einigen Schülern von ihm (Xavier Zubiri und José Gaos) für die gegenwärtige Phänomenologie sowie für eine phänomenologisch angelegte interkulturelle Philosophie zu zeigen.
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